Werbebasierte Geschäftsmodelle sind die Basis privatwirtschaftlich organisierter Medienunternehmen. Für den privaten Mediensektor sind Investitionen durch Werbung und die Nutzung von Daten für die werbebasierte Refinanzierung ihrer Audio- und audiovisuellen Inhalte wesentlich.
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Der Bundesernährungsminister Cem Özdemir stellte am 27. Februar 2023 Eckpunkte eines „Gesetzes zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt“ (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz/KLGW-E) vor.
Die Pläne des BMEL sehen weitgehende Einschränkungen und Verbote bei der Bewerbung von Lebensmitteln vor in allen „für Kinder relevanten Medien“. Auf diese Weise soll Übergewicht bei Kindern reduziert werden.
Bundesernährungsminister Cem Özdemir stellte am 27. Februar 2023 Eckpunkte für ein „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt“ (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz/KLGW-E) vor.
Der Entwurf und die darauffolgenden überarbeiteten Neufassungen (KLWG-E 2.0 Anfang Mai und KLWG-E 3.0 Anfang Juni) wurden insb. von den FDP-geführten Ressorts zurückgewiesen. Die Pläne des BMEL sehen weitgehende Einschränkungen und Verbote bei der Bewerbung von Lebensmitteln vor in allen „für Kinder relevanten Medien“ (das BMEL nennt u. a. Radio, TV, Streaming-Dienste, Social Media). Auf diese Weise soll Übergewicht bei Kindern reduziert werden.
Die privaten Medienanbieter unterstützen das gemeinsame Ziel, Übergewicht bei Kindern zu reduzieren und sie zu einem gesunden Lebensstil zu befähigen. Die Pläne des BMEL würden jedoch dazu keinen Beitrag leisten, sondern ohne Nutzen für die Kindesgesundheit die Medienvielfalt in Deutschland gefährden, wie auch die Medienanstalten kritisieren. (1)
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(1) Vgl. Pressemitteilung der Medienanstalten: https://www.die-medienanstalten.de/service/pressemitteilungen/meldung/umfassendes-verbot-fuer-lebensmittelwerbung-gefaehrdet-private-medienvielfalt (16.06.2023)
Die BMEL-Pläne sehen vor, Werbung für rund 70 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel in allen Medien zu verbieten, die auch von Kindern genutzt werden könnten (inklusive TV, Radio, Streaming sowie u.a. auch Außenwerbung). (1)
Neben Süßigkeiten und Chips, beträfe dies auch Grundnahrungsmittel wie Butter, zahlreiche Arten von Wurst & Käse, Müsli, Teigwaren, Quark, Salatsaucen etc. (2)
Ende Juni kündigte Özdemir gegenüber der Presse an, die geplanten Verbote für Lebensmittelwerbung „lockern“ und die Sendezeit-Regelungen auf eine sog. „Kinder-Primetime“ im Fernsehen begrenzen zu wollen: wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr – unabhängig davon, ob es sich um Kinder- oder Erwachsenenprogramme handelt. Im Hörfunk soll auf eine Sendezeit-Regelung verzichtet werden. (3)
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(1) Vgl. Stefan Storcksdieck, Marguerite Robinson, Jan Wollgast, Sandra Caldeira: The ineligibility of Food Products from across the EU for marketing to children according to two EU-level nutrient profile models, 23.10.2019:, The ineligibility of food products from across the EU for marketing to children according to two EU-level nutrient profile models
(2) Diese sehr weite Definition liegt auch der vom BMEL als Beleg für seine Pläne angeführten Studie zugrunde, wonach Kinder täglich rund 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel sähen. Dort werden auch Werbespots für Butter, Salatsauce oder Müsli als an Kinder gerichtete Werbung für HFSS-Lebensmittel betrachtet (vgl. Effertz, Tobias: Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV, März 2021): https://www.bwl.uni-hamburg.de/irdw/dokumente/kindermarketing2021effertzunihh.pdf).
(3) Ursprünglich sollte das Verbot für alle TV- und Radio-Sendungen von 6-23 Uhr, und damit praktisch durchgängig, gelten (siehe: https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/kita-und-schule/lebensmittelwerbung-kinder.html)
Laut Gutachten von Prof. Dr. Justus Haucap würden Bruttowerbeverluste in Höhe von fast drei Milliarden Euro realisiert (74 % der Bruttowerbeumsätze mit Lebensmittelwerbung, 8 % der Bruttowerbeumsätze insgesamt). (1)
Ein Zurückfahren und Einstellen von Programmen wäre bei einem solch starken Einnahmenausfall unvermeidlich. Gerade kleinere, regionale Medienanbieter wären in ihrer Existenz bedroht. Die Medienvielfalt in Deutschland würde erheblich eingeschränkt und gefährdet.
Die Schieflage im Wettbewerb mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und globalen Plattformen würde massiv weiter zu Ungunsten der Privaten verstärkt.
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(1) Haucap, Justus; Loebert, Ina; Thorwarth, Susanne: Ökonomische Wirkung des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes – „KLWG“ für die Medien- und Werbewirtschaft (im Auftrag des Markenverbands, Düsseldorf, Juni 2023): http://www.markenverband.de/pressebereich/pressemitteilungen-2023/markenverband-veroeffentlicht-oekonomisches-gutachten-von-prof.-dr.-justus-haucap-kinder-lebensmittel-werbegesetz-schaedigt-wirtschaft-in-milliardenhoehe/2023_Gutachten_OEkonomische_Wirkung_KLWG.pdf
Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die die Wirkung von Werbeverboten auf die Reduzierung von Übergewicht belegen – das hat das BMEL sowie auch die Weltgesundheitsorganisation selbst festgestellt. (1)
Die vorhandenen empirischen Daten zeigen, dass Werbeeinschränkungen nicht zu einer Reduzierung von Übergewicht bei Kindern führen. So stieg in Großbritannien Übergewicht bei Kindern trotz der 2007 erfolgten Einführung weitreichender Werbebeschränkungen für HFSS-Lebensmittel bis heute weiter an. (2)
Werbung entscheidet nicht darüber, ob ein Produkt gekauft wird oder nicht. Sie beeinflusst, für welche Marke eines Produkts sich Konsument:innen entscheiden.
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(1) Vgl. „Policies to protect children from the harmful impact of food marketing: WHO guideline“ (3.07.2023): https://www.who.int/publications/i/item/9789240075412
(2) In der Forschung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der enge empirische Zusammenhang zwischen kindlichem Übergewicht und dem familiären Umfeld/Bildungsstand der Eltern darauf hinweise, dass Aufklärung und Bildung weitaus erfolgreichere Ansätze wären. Diese werden jedoch in den Gesetzesplänen nicht adressiert.
Die BMEL-Vorschläge weichen erheblich von den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages der Bundesregierung ab, die deutlich enger gefasst sind (u. sich z. B. auf speziell an Kinder gerichtete Formate und Sendungen beziehen). (1)
Laut Gutachten des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Martin Burgi wäre das Gesetz in der vorliegenden Form verfassungs- und europarechtswidrig. (2) Der Bund hat keine Zuständigkeit, die Regelungskompetenz liegt bei Werbung als Teil der Medienregulierung bei den Ländern, in deren Zuständigkeit massiv eingegriffen würde, wie auch die Rundfunkkommission der Länder kritisiert. (3)
Werbung gehört zum Bereich der vom Grundgesetz besonders geschützten Rundfunkfreiheit, welche durch die Verbotspläne verletzt würde – eine Umsetzung dieses weitreichenden Entwurfs wäre höchstwahrscheinlich verfassungswidrig.
Mit zahlreichen Regelungen auf nationaler Ebene (s. Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutzstaatsvertrag), auf europäischer Ebene (s. AVMD-Richtlinie) sowie den bestehenden staatlichen Aufsichtsstrukturen (s. Medienanstalten) sowie Selbstregulierungsstrukturen (s. Werberat) ist an Kinder gerichtete Werbung bereits umfassend reguliert.
Die BMEL-Pläne sind vor allem Symbolpolitik. Sie leisten keinen verhältnismäßigen Beitrag zur Reduzierung von Übergewicht. Stattdessen ignorieren sie, dass das Entstehen von Übergewicht multikausale Ursachen, u. a. in der persönlichen Konstitution und den sozialen Lebensumständen hat. Eine Regulierung, die allein darauf abstellt, dass das Betrachten von Werbung ursächlich für gesamtgesellschaftliche Fehlentwicklungen ist, könnte gefährlicher Vorreiter für weitere ordnungspolitische Diskussionen sein (Stichwort: Forderungen nach Verboten von Alkohol- oder Glücksspielwerbung).
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(1) Vgl. Koalitionsvertrag: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf, S. 36.
(2) Burgi, Martin: Werbeverbote für Lebensmittel aufgrund ihres Zucker-, Fett- oder Salzgehalts als Eingriffe in die Kommunikations- und Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Rechtswissenschaftliche Untersuchung, München, April 2023, https://zaw.de/app/uploads/2023/04/Burgi-Gutachten-Werbeverbote.pdf
(3) Vgl. Beschluss der Rundfunkkommission der Länder vom 08.03.2023 zum Regelungsvorhaben des BMEL zur Lebensmittelwerbung: https://rundfunkkommission.rlp.de/fileadmin/rundfunkkommission/Dokumente/Beschluesse/2023-03-08_Beschluss_RFK_TOP_5_BMEL_Suessigkeitenwerbung.pdf
Legale Produkte müssen legal beworben werden können, Kommunikationsverbote verhindern Wettbewerb und Vielfalt.
Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des VAUNET & Chief Corporate Affairs Officer, RTL Deutschland
Standpunkte
Experten-Gutachten kritisieren geplante Lebensmittelwerbeverbote des Bundesernährungsministeriums
Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler kritisieren den vom Bundesernährungsministerium im Februar vorgelegten Gesetzesentwurf zu weitreichenden Verboten in der Lebensmittelwerbung scharf. Sie bewerten die Werbeverbotspläne für verfassungs- und europarechtswidrig und warnen vor erheblichen Folgen für die Medienvielfalt.
Weiteres zur thematik
Dafür setzt sich der VAUNET ein
➤ Keine pauschalen Werbeverbote oder kleinteilige Pflichthinweise
➤ Kein Verbot gezielter Werbung oder die Möglichkeit, Werbung über Ad-Blocker auszublenden
➤ Die in Übereinstimmung mit der DSGVO rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten durch Medienunternehmen
➤ Die Praxis von Gatekeepern wie Browsern oder Betriebssystemen, eigene Online-Werbetechnologiedienste zu präferieren und dabei Angebote Dritter zu benachteiligen, muss unterbunden werden.
