Lebensmittelwerbung: Verantwortungsvolles, politisches Handeln geht anders

01.09.2023 - Wenn es nur so einfach wäre: Kinder sehen Werbung für „ungesunde“ Lebensmittel, von denen sie deshalb zu viel essen, und dadurch werden sie übergewichtig. Verbietet man also die Werbung, ist das Problem gelöst.

Auf dieser simplen Annahme basieren die weitreichenden Verbotspläne für Lebensmittelwerbung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, und seines Ministeriums. Wissenschaftlich belegbar ist das jedoch nicht. Özdemirs Pläne sind vor allem symbolische Verbotspolitik, die massive Schäden für die private Medienvielfalt in Deutschland billigend in Kauf nähme. Verantwortungsvolles, verhältnismäßiges, politisches Handeln sieht anders aus.

Zwar bekundete der Minister öffentlich, es solle nur ein klar eingegrenztes Verbot von speziell an Kinder gerichtete Werbung für „Zuckerbomben“ bzw. Süßigkeiten und Chips geben. Die bisher bekannten Gesetzesentwürfe erzählen aber eine andere Geschichte. Sie gehen in ihren Konsequenzen weit über das hinaus, was der Titel vermuten lässt, und im Koalitionsvertrag vereinbart wurde: Die Pläne sehen Werbeverbote für weit über 70 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel in allen Medien vor, die auch von Kindern genutzt werden könnten (inklusive TV, Radio, Streaming sowie u. a. auch Außenwerbung). Laut des letzten Entwurfs wäre entsprechende Werbung im Fernsehen täglich von 17 bis 22 Uhr verboten, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr – unabhängig davon, ob es sich um Kinder- oder Erwachsenenprogramme handelt. Im Hörfunk solle auf eine zusätzliche Sendezeit-Regelung verzichtet werden. Als „ungesunde Lebensmittel“ werden auf Basis einer Einordnung des europäischen WHO-Regionalbüros neben Süßigkeiten und Chips zahlreiche Grundnahrungsmittel, wie Butter, zahlreiche Arten von Käse, Quark, Müsli oder Teigwaren, betrachtet.

Die „Kollateralschäden“ der Verbotspläne des Bundesernährungsministers wären immens: Laut eines ökonomischen Gutachtens drohen Bruttowerbeverluste in Höhe von fast drei Milliarden Euro, das beträfe 74 Prozent der Bruttowerbeumsätze mit Lebensmittelwerbung. Das absehbare Ergebnis: Programmkürzungen oder -einstellungen. Gerade kleinere, regionale Medienanbieter wären in ihrer Existenz bedroht. Auch die Schieflage im Wettbewerb mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den globalen Big-Tech-Plattformen würde erheblich zu Ungunsten der Privaten verstärkt.

Der Bundesernährungsminister legt in einer ohnehin wirtschaftlich schwierigen Phase die Axt an die Refinanzierung der privaten Medien – und damit an die Vielfalt der privaten Medienangebote. Werbebasierte Geschäftsmodelle sind die Basis privatwirtschaftlich organisierter Medienunternehmen, neue Werbebeschränkungen bzw. -verbote höhlen ihre Geschäftsgrundlage aus. Die Forderung nach unabhängigen journalistischen Angeboten und nach mehr Investitionen in hochwertige Inhalte können nie losgelöst von den finanziellen Rahmenbedingungen betrachtet werden, die die Politik aktiv setzt. Legale Produkte müssen legal beworben werden können. Wenn Werbeverbote für legale Produkte ordnungspolitisch weiter an Relevanz gewinnen, bedeutet dies eine ernsthafte Gefährdung für die Vielfalt der privaten Medienangebote in Deutschland.

Seit Monaten äußert die Wirtschaft scharfe Kritik an den Gesetzesentwürfen des Bundesernährungsministeriums, die statt auf einer evidenzbasierten Gefahrenprognose auf einer reinen Gefahrenvermutung basieren: Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler:innen bewerten die weitreichenden Verbotspläne als unverhältnismäßig, unwissenschaftlich, verfassungs- und europarechtswidrig. Statistiker:innen beklagen, dass die vom Ministerium zur Begründung der Pläne herangezogenen Studien entweder methodische Fehler aufwiesen oder fahrlässig oder absichtlich fehlinterpretiert würden. Auch das Bundesernährungsministerium sowie die WHO wiesen selbst darauf hin, dass es keine wissenschaftlichen Studien gäbe, die eine Wirkung von Werbeverboten auf die Reduzierung von Übergewicht belegen. Die vorhandenen Daten legen stattdessen nahe, dass Bildung und Aufklärung deutlich erfolgversprechendere Ansätze sind.

Die Länder weisen darauf hin, dass Kinderschutz in der Werbung bereits umfassend reguliert ist – auf nationaler Ebene im Medienstaatsvertrag und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, auf europäischer Ebene mit der AVMD-Richtlinie sowie mit der bestehenden staatlichen Aufsicht durch die Medienanstalten und den Selbstregulierungsstrukturen. Darüber hinaus kritisieren sie, dass die Pläne in die Medienregulierung eingreifen würden, deren Regelungskompetenz bei ihnen und nicht beim Bund liegt.

Die Medienanstalten sehen die Verbotspläne als Gefahr für die private Medienvielfalt. Daran würden auch die reduzierten Verbotszeiten nichts ändern. Darüber hinaus verweisen sie auf das Grundrecht der Rundfunkfreiheit, das einen Ordnungsrahmen erfordere, der Medien- und Meinungsvielfalt sichere. Sie appellieren an die Politik, zielgerichtete und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, die dem gemeinsamen Ziel der Förderung gesunder Ernährung wie auch dem Erhalt der vielfältigen Medienlandschaft gerecht werden.

Diesen Appell wiederholt auch der VAUNET seit Monaten und warnt im Austausch mit politischen Entscheider:innen auf allen Ebenen sowie im öffentlichen Diskurs vor einem drohenden tiefgreifenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die Finanzierungsgrundlage privater Medien, und kündigt an, dass rechtliche Schritte geprüft werden, sollte das Ernährungsministerium an seinem Vorhaben festhalten.

Die privaten Medienanbieter unterstützen nachhaltig das gemeinsame Ziel, Kinder zu einer gesunden Ernährung und einem gesunden Lebensstil zu befähigen. Sie investieren umfangreich nicht nur in Unterhaltung, sondern auch in journalistische Informationen und gesellschaftsrelevante Inhalte zu Themen wie ausgewogener Ernährung und Gesundheit. Damit erreichen die Privaten insbesondere die jüngeren Zielgruppen. Zudem nehmen sie seit über 25 Jahren den Kinder- und Jugendmedienschutz innerhalb der gesetzlichen und selbstregulativen Vorgaben ernsthaft und verantwortungsvoll wahr.

Nicht bereit sind sie jedoch, für ein inkonsistentes, weder zielführendes noch evidenzbasiertes sowie verfassungswidriges Gesetzesvorhaben massiven Schaden an der Medienvielfalt in Deutschland in Kauf zu nehmen. Bundesregierung und Bundestag müssen dringend in einen sachlichen Austausch eintreten und kompetenzrechtliche Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern wahren. Was es nun braucht, ist ein ausgewogenes, verantwortliches politisches Handeln auf Basis empirischer Fakten, das die Auswirkungen auf die Medienfinanzierung ausreichend berücksichtigt, die klar definierten Grenzen des Koalitionsvertrags beachtet und bei Bedarf eine medienrechtliche Lösung auf Länderebene in Betracht zieht.

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