Novelle des Jugendschutzgesetzes: Gründe, die gegen eine Verabschiedung sprechen

05.03.2020 - VAUNET legt in einer Zusammenfassung die zentralen Kritikpunkte an dem aktuellen Referentenentwurf (10.02.2020) eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend dar.

Unternehmen legen aus Eigeninteresse Wert auf einen hinreichenden Jugendschutz.

Unternehmen verzichten nicht auf Jugendschutz, um ihre Gewinne zu maximieren. Im Gegenteil: Ohne Jugendmedienschutz gäbe es keinen langfristigen wirtschaftlichen Erfolg und kein Vertrauen der Verbraucher und Eltern in Medieninhalte. Die Mitgliedsunternehmen des VAUNET beschäftigen zahlreiche Jugendschutzbeauftragte, die gesetzlich abgesichert unabhängig tätig sind. Zudem sind sie seit über 20 Jahren Träger der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter und seit über 25 Jahren der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen. Diese zentralen Einrichtungen unterstützen als Prüf- und Beschwerdeinstanzen die Unternehmen aus den Bereichen Rundfunk und Telemedien bei ihrer Jugendschutzarbeit und sind Anlaufstelle für Verbraucheranliegen.

Der Entwurf spiegelt nicht die Realität der heutigen Online-Welt wider.

Der Gesetzesentwurf erfüllt die Erwartungen an einen modernen Jugendmedienschutz durch bessere „Verzahnung“ zwischen Bundes- und Landesrecht nicht. Insbesondere das 2016 in der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz verabredete Konzept, beiderseitig möglichst mit einheitlichen Begriffen und offenen Verfahren zu agieren, wird nur unzureichend verfolgt. Die heutige, von Konvergenz und Geschwindigkeit geprägte Medienwelt benötigt unabhängig von Verbreitungswegen flexible Instrumente sowohl in der Altersbewertung als auch bei den Schutzmechanismen. Dafür bedarf es keiner Übernahme der Trägermedienregulierung aus den 1950er Jahren auf die differenzierte Landschaft der Onlinemedien. Die Logik des JuSchG, dass ein „menschlicher Gatekeeper“ an der Kino- oder Ladenkasse Heranwachsenden den Zugang zu entwicklungsbeeinträchtigenden Medien verwehren kann, passt nicht zu den Mechanismen des Internets. Eine künstliche Trennung von Rundfunk und Telemedien und damit filmischer Inhalte in den Regelungsmaterien JMStV/JuSchG ist nicht zielführend.

Der Entwurf verkennt den bereits bestehenden rechtlichen Rahmen für Jugendmedienschutz.

2002 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass die Länder für die Regulierung von Medieninhalten im Internet – inklusive des Jugendmedienschutzes – zuständig sein sollen. Mit dem seit 2003 bestehenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder gibt es ein Regelwerk, das den Jugendschutz im Rundfunk- und Onlinebereich bundesweit einheitlich abschließend regelt. Der Gesetzgeber sollte daher klarstellen, dass rundfunkähnliche Telemedien nach dem Medienstaatsvertrag (MStV) vollständig vom Anwendungsbereich des JuSchG ausgenommen sind. Für filmische Inhalte in rundfunkähnlichen Telemedien sollte es keine Vorabkontrolle geben, die gerade für den Rundfunk nicht vorgesehen ist (s. unter 4.). Der JMStV wurde inzwischen öfter modernisiert als das JuSchG. Eine weitere Reform steht unmittelbar bevor.

Das BMFSFJ beabsichtigt, einzelne Bereiche wie die Altersklassifizierung in den Hoheitsbereich des Bundes zu ziehen. Das JuSchG hält an staatlich tradierten Kontrollmechanismen fest, während der JMStV ein modernes System der Selbstverantwortung der Anbieter und regulierten Selbstregulierung vorsieht. Das im JMStV zugrunde gelegte Zusammenspiel zwischen KJM, den freiwilligen Selbstkontrollen FSF und FSM sowie den Jugendschutzbeauftragten hat sich bewährt und den Jugendmedienschutz konsequent nach vorne gebracht. Der JuSchG-Entwurf ist im Hinblick auf die Staatsferne des Rundfunks, die grundgesetzliche Kompetenzzuordnung und europarechtlichen Grundsätze äußerst kritisch zu bewerten.

Er führt zu mehr Bürokratie und marginalisiert die Arbeit von Jugendschutzbeauftragten.

Das System der regulierten Selbstregulierung des JMStV sieht vor, dass fachlich versierte Jugendschutzbeauftragte in Medienunternehmen die Einhaltung von Jugendschutzstandards prüfen. Sie handeln nach wissenschaftlich erarbeiteten und von der Medienaufsicht der Länder anerkannten Kriterien. So soll Jugendmedienschutz direkt am Ort von Produktion und Distribution gewährleistet werden. Der Großteil der Inhalte ist für Heranwachsende unbedenklich. Grenzfälle legen die Jugendschutzbeauftragten in der Regel den Kommissionen der FSF zur Prüfung vor. Der JMStV kennt im Gegensatz zum JuSchG nicht die Notwendigkeit einer generellen Vorlagepflicht. Durch die Neufassung des JuSchG müsste jedoch eine Vielzahl von Medieninhalten externen Prüfkommissionen vorgelegt werden, die bislang inhouse von den Jugendschutzbeauftragten geprüft wird. Es käme auf die Unternehmen ein enormer bürokratischer Mehraufwand zu, ohne dass dies zu mehr oder besserem Jugendschutz führte.

Der Entwurf schafft nicht erforderliche Doppelstrukturen.

Die AVMD-Richtlinie erkennt die regulierte Selbstregulierung ausdrücklich auch im Jugendmedienschutz an. Die regulierte Selbstregulierung erlaubt – eingepasst in einen rechtlichen Rahmen – den hierfür vorgesehenen Institutionen, sich dem raschen gesellschaftlichen Wandel anzupassen. Der JuSchG-Entwurf schafft dagegen ein Behördendickicht und mehr staatliche Kontrolle. Mit 50 neuen Planstellen soll sich der Mitarbeiterstab der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) mehr als verdoppeln. Mit der Umwandlung der BPjM in die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz werden unnötig neue Strukturen geschaffen, die den Jugendmedienschutz aus VAUNET-Sicht weder konvergenter noch schneller werden lassen. Der MStV und JMStV sind durch eine staatsferne nachträgliche Aufsicht durch die Landesmedienanstalten geprägt.

Der JuSchG-Entwurf vermengt Medien- mit Kommunikationsrisiken.

Nach dem Gesetzesentwurf sollen Medieninhalte als gefährlicher eingestuft werden, wenn Heranwachsende im Umfeld des Filmabrufs auf sog. Kommunikationsrisiken treffen können. Dem Anbieter wird ein Risiko zugerechnet, auf das er keinen unmittelbaren Einfluss hat und welches den Inhalt nicht gefährdender macht. Der Filminhalt bleibt derselbe, auch wenn ein Chatroom nur einen Click entfernt ist. Da in eine Altersbewertung Nutzungs- und Kommunikationsrisiken nicht ex-ante einkalkuliert werden können, spricht sich der VAUNET gegen eine Einbeziehung von Interaktionsrisiken bei Inhalten seiner Mitgliedsunternehmen aus. Zumindest sollten sie sich nicht in einem einzigen Alterskennzeichen wiederfinden. Ansonsten würde die Bewertung von Inhaltsrisiken verwässert.

Ein „Kennzeichendschungel“ optimiert nicht den Jugend-/Verbraucherschutz.

Telemedienanbieter sollen neben der Altersfreigabe künftig mit verschiedenen zusätzlichen Symbolen die wesentlichen Gründe für die Freigabe anzeigen, was bei kleineren Bildschirmen zu Darstellungsproblemen führen kann. Die optischen Alterskennzeichen entfalten überdies für sich genommen keine Schutzwirkung. Entscheidender ist daher die Umsetzung der Altersbewertung in elektronische Kennzeichen für entsprechende Sperr- und Filtermechanismen, wie dies der JMStV vorsieht. Mit Hilfe technischer Mittel können die Eltern an Empfangsgeräten den Zugang Heranwachsender zu entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten steuern. Dass die neue Pflichtkennzeichnung nur gewinnorientierte Telemedienanbieter, aber nicht öffentlich-rechtliche Mediatheken treffen soll, stellt zudem eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Der VAUNET sieht keinen gesetzgeberischen Bedarf für weitere Kennzeichen/Symbole; diese können freiwillig erfolgen. Eine Unterscheidung in gewinnorientierte und nicht gewinnorientierte Anbieter lehnt der VAUNET ab.

Nach wie vor existiert keine echte Durchwirkung zwischen JuSchG und JMStV

Der VAUNET begrüßt, dass im JuSchG eine Norm zur Durchwirkung der nach dem JMStV ermittelten Altersbewertungen angelegt ist. Mit der KJM-Bestätigung verfügen die Entscheidungen der JMStV-Selbstkontrollen auch über eine verfahrenskonforme Zertifizierung. Daher sollte es im JuSchG eine Bestimmung geben, die die direkte Durchwirkung der JMStV-Altersfreigaben im JuSchG regelt, ohne dass diese von der Spruchpraxis der obersten Landesjugendbehörden abhängt.

 

Eine detaillierte Stellungnahme wurde dem Ministerium am 28. Februar 2020 übermittelt.

Ansprechpartner:in
Tim Steinhauer

Senior Referent Medienverantwortung & Programm

Tel. 0049 (0)30 39 88 0 199

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