UPDATE 07.07.2021 - Das europäische Parlament hat die Forderung der europäischen Rundfunkverbände an die EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, in einem Entschließungsantrag vom 06. Juli 2021 ("Motion for a Resolution") über die Verstöße gegen EU-Recht und gegen die Rechte von LGBTIQ-Bürger:innen in Ungarn aufgegriffen.
Brüssel, 29. Juni 2021 – Rundfunkveranstalter in ganz Europa sind äußerst besorgt über die Auswirkungen und den möglichen Präzedenzfall des kürzlich von der ungarischen Nationalversammlung verabschiedeten Gesetzentwurfs[1] zur Änderung der nationalen Gesetze über Mediendienste und Massenmedien und Werbung. Der Gesetzentwurf diskriminiert offen LGBTQIA-Gemeinschaften und verstößt gegen die Grundrechte, die in den Artikeln 7, 9, 11, 16 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankert sind, indem er versucht, die Darstellung von LGBTQIA-Gemeinschaften und -Themen in Programm- und Werbeinhalten zu verbieten oder zu beschränken.
Der Gesetzentwurf stellt die Förderung und Darstellung von „Abweichung von der Identität, die dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht, Geschlechtsumwandlung und Homosexualität“ als jugendgefährdend dar. Dieser Auslegung stimmen wir nicht zu. Artikel 6a der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) betont die Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen zum Schutz der Entwicklung von Minderjährigen, die Rechtsgrundlage, die Ungarn in seinem Gesetzentwurf verwendet, muss in einem angemessenen Verhältnis zum möglichen Schaden des Inhalts stehen. Die Verhältnismäßigkeit impliziert eine Abwägung unter Berücksichtigung der durch die GRC geschützten Grundrechte. Eine solche Prüfung wurde eindeutig nicht durchgeführt, da diese Maßnahmen LGBTQIA-Gemeinschaften, die durch Artikel 21 der GRC geschützt sind, schwer diskriminieren und die durch Artikel 11 GRC geschützte Freiheit, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, beeinträchtigen würden.
Darüber hinaus umgehen die Vorschläge durch die gemeinsame Änderung von § 8(1a) des Werbegesetzes und § 9(1) des Gesetzes über Mediendienste und Massenmedien die EU-Harmonisierung im Hinblick auf den Jugendschutz. Die Umwandlung von Werberegelungen im nationalen Medienregime (umgesetzt aus Art. 9 AVMD-RL) in allgemeine Werbemaßnahmen wird unbestreitbar die Freiheit des Empfangs und der Weiterverbreitung einschränken, die nach Art. 3 AVMD-RL verboten ist. Abgesehen von den ethischen und wertebasierten Fragen, die hier im Raum stehen, würde dies einen sehr negativen rechtlichen Präzedenzfall schaffen.
Sollte der Text nicht zurückgezogen werden, fordern wir die Europäische Kommission auf, ein Vertragsverletzungsverfahren auf der Grundlage von Artikel 3, 6a und 9 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste und Artikel 34 und 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einzuleiten.
Unterzeichner:
ACT – Association of Commercial Television in Europe – www.acte.be
egta – Europäischer Verband der Fernseh- und Rundfunkvertriebshäuser – http://www.egta.com/
ACCeS – Association des Chaînes Conventionnées éditrices de Services – www.acces.tv
COBA – Der Verband für kommerzielle Sender und Abrufdienste – https://www.coba.org.uk/
CRTV – Confidustria Radio Televisioni – https://confindustriaradiotv.it/
VÖP – Verband Österreichischer Privatsender – https://www.voep.at/
Screenforce – de Nederlandse TV-marketingorganisatie – https://screenforce.nl
VAUNET – Verband Privater Medien e.V. – https://www.vau.net/
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[1] Gesetzentwurf „Taking more severe action against paedophile offenders and amending certain Acts for the protection of children“ („Verschärfung des Vorgehens gegen pädophile Straftäter und Änderung bestimmter Gesetze zum Schutz von Kindern“) (15/6/21) und nachfolgende Änderungen der Gesetze XXXI (Abschnitt 6a) von 1997 und CLXXXV (neuer Abschnitt 9(6)) von 2010